Das „Vergehen“ der 53 Mitarbeiter der Stadtverwaltung, bei denen am Freitagmorgen die Polizei klingelte, war vor allem, dass sie zum Team des inhaftierten Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu gehörten. Und mehr noch: Sie hatten versucht, das Projekt „Kanal Istanbul“ zu verhindern – jenes Prestigevorhaben, das Erdoğan einst als seinen „größten Traum“ bezeichnet hatte.
„Kanal Istanbul“ ist ein Megaprojekt, das rund 15 Milliarden Dollar kosten soll: Ein künstlicher Wasserweg, der das Schwarze Meer mit dem Mittelmeer verbindet. Geplant ist, den Kanal quer durch Ostthrakien zu ziehen – damit würde die europäische Seite Istanbuls in zwei Teile gespalten und zwischen Asien und Europa eine neue Insel entstehen.
Offiziell heißt es, man wolle damit den dichten Schiffsverkehr auf dem Bosporus entlasten. Doch ehemalige Generäle und pensionierte Diplomaten, die das Projekt scharf kritisieren, sehen einen anderen Hintergrund: Ihrer Meinung nach soll das Kanalprojekt die Regeln des Montreux-Abkommens aushebeln, das die Durchfahrt durch den Bosporus streng regelt. Der neue Kanal wäre von diesen Bestimmungen nicht betroffen – Kriegsschiffe aus Nichtanrainerstaaten könnten so ungehindert ins Schwarze Meer gelangen. Dass damit vor allem Russland bedroht wäre, liegt auf der Hand. Der Kreml hatte bereits gewarnt, ein Aufweichen des Montreux-Regimes könne die Sicherheit in Europa gefährden. Für Erdoğan spielt dabei aber noch ein anderer Aspekt eine Rolle: der Profit. Auf arabischen Sendern laufen schon jetzt Werbespots für Luxuswohnungen mit Seeblick rund um das geplante Kanalgebiet.
Ekrem İmamoğlu, der inhaftierte Bürgermeister von Istanbul, schickte vorletzte Woche eine Botschaft aus dem Gefängnis: Kanal Istanbul sei ein „Verratsprojekt“, sagte er, und warf den Verantwortlichen vor, seine Abwesenheit zu nutzen, um den Bau von 25.000 Wohnungen voranzutreiben. Damit, so warnte İmamoğlu, werde eine der wichtigsten Wasserquellen der Stadt zerstört.
Nach dieser Mahnung kündigte die Istanbuler Wasser- und Abwasserbehörde (İSKİ) an, den illegalen Bau innerhalb eines Monats abzureißen, falls die Arbeiten nicht gestoppt würden. Doch schon am nächsten Morgen schlug der Staat zurück: 53 Stadtbedienstete, darunter auch der İSKİ-Generaldirektor, der die Warnung ausgesprochen hatte, wurden festgenommen.
Die politische Auseinandersetzung wird immer mehr zu einem Kampf um den Schutz der Heimat gegen die Interessen derer, die auf schnellen Gewinn aus sind – und sie spitzt sich mit jedem Tag weiter zu.
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