Liebe Leserin, lieber Leser,
in der Türkei kennt man mich im Allgemeinen als Dokumentarfilmer. In den letzten 30 Jahren habe ich viele Dokumentarfilme gedreht, die besonders die jüngste Geschichte und Portraits zum Thema machten. Ich wollte schon immer eine Produktion unternehmen, die über die Grenzen der Türkei hinausgeht. Das mag vielleicht ironisch klingen, aber meine erzwungene Flucht ins Exil hat das jetzt ermöglicht.
Der erste Dokumentarfilm, den ich als Regisseur für einen ausländischen Fernsehsender in einer anderen Sprache unternommen habe, wird diesen Freitag, um 20.15 Uhr, auf
ZDFinfo in deutscher Sprache ausgestrahlt. Nach einem Jahr Arbeit ist die Doku „Kampf auf der Bosporus-Brücke – Die Türkei und der gescheiterte Putschversuch“, eine Produktion der Filmproduktionsfirma AVE in Zusammenarbeit mit CORRECTIV, entstanden. Wir haben den Militärputsch vom 15. Juli 2016 dokumentiert. Wir haben die Geschichte von dem Tag erzählt, an dem sich das Schicksal, die Richtung und das Regime der Türkei verändert haben. Insbesondere haben wir uns auf die zehn Stunden auf der Bosporus-Brücke konzentriert, die von großer symbolischer Wichtigkeit sind. Wir haben versucht zu dokumentieren, wie zwei um Regierungsmacht kämpfende politische Islamisten, Recep Tayyip Erdoğan und Fethullah Gülen, nach langen Jahren der Zusammenarbeit zu Feinden wurden und ihre eigenen Anhänger in den Tod zerrten. Es dauerte Monate, um die Aufnahmen der Überwachungskameras auf der Brücke, die über tausende von Stunden gingen, mit den Videos abzugleichen, doch am Ende dieser sorgfältigen Arbeit kam regelrecht ein „Kriegsfilm“ heraus.
Unsere Zielgruppe sind deutsche Zuschauerinnen und Zuschauer, die nicht viel über den historischen Hintergrund und die Details dieses Ereignisses wissen. Wir wendeten uns an den damaligen deutschen Botschafter Martin Erdmann, der sich zu der Zeit in der Türkei befand und die Ereignisse aus der Nähe verfolgen konnte, sowie an Maximilian Popp, den Türkeikorrespondenten des Magazins „Der Spiegel“, damit sie uns durch ihr Zeugnis dabei helfen konnten, ein besseres Verständnis zu bekommen.
Ein anderer Name, der die Türkei näher kennt, Edzard Reuter, verglich in einem unserer Gespräche die Bombardierung des türkischen Parlaments in der Nacht vom 15. Juli mit dem Reichstagsbrand und sagte, dass Erdoğan den Putschversuch vom 15. Juli dafür nutzte, seine Gegner zu beseitigen und seine eigene Macht zu stärken. Dieser Putschversuch, bei dem noch immer viele Details nicht aufgeklärt werden konnten, trennte die Türkei von Europa, entfernte sie weiter von der Demokratie und verwandelte das Land in ein Ein-Mann-Regime. Der wichtigste Grund dafür, warum ich heute in Deutschland lebe, ist der nach diesem Putschversucht errichtete, unrechtmäßige Polizeistaat.
Journalisten werden erst dann mit einem rechtswidrigen Regime fertig, wenn die Wahrheit ans Licht gebracht wird. Und das haben wir mit einem objektiven Ansatz versucht zu tun. Ich hoffe, Sie schauen sich den Dokumentarfilm an und werden Zeuge davon, wie nicht nur die die Verbindung zwischen der Türkei und Europa, sondern auch die Brücke, die sie verbindet, bombardiert wurden.
Ihnen allen eine gute Woche!
PS: Durch einen Tippfehler haben wir in der letzten Woche das Jahr 2013 als Termin für die nächsten Wahlen in der Türkei angegeben – diese finden natürlich in der Zukunft statt, nämlich im Jahr 2023. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.