Er ist jung, energisch und rhetorisch stark. Ähnlich wie Erdoğan stammt er aus einer konservativen Familie aus der Schwarzmeerregion. Genau wie er steigt er in der Lokalpolitik auf. In den Umfragen wird er bereits als Präsidentschaftskandidat für die nächste Wahl gehandelt. Westliche Staatsoberhäupter, wie der deutsche Bundespräsident Steinmeier, trafen sich bei ihren Besuchen in der Türkei mit ihm - vor Erdoğan. Natürlich machen ihn diese Eigenschaften nicht nur zum stärksten Gegner des Palastes, sondern auch zu einer großen Zielscheibe.
Nachdem es der Regierung nicht gelungen war, İmamoğlu an den Wahlurnen zu verhindern, versuchte sie, die Justiz einzuschalten. Staatsanwälte unter dem Kommando des Palastes reichten zunächst eine Verleumdungsklage ein und forderten eine Gefängnisstrafe sowie ein politisches Verbot für İmamoğlu. Dieses laufende Verfahren hängt wie ein Damoklesschwert über ihn. Der zweite Schritt erfolgte letzte Woche: Der Bezirksbürgermeister von Esenyurt, dem größten und vielversprechendsten Bezirk Istanbuls mit 1,5 Millionen Einwohnern, wurde verhaftet. Der Bezirksbürgermeister Ahmet Özer hat viele Eigenschaften: Er ist ein Akademiker, absolvierte ein Studium der Philosophie und Soziologie, hat 38 Bücher geschrieben, und ist ein ehemaliger Berater von İmamoğlu. Dank seiner kurdischen Identität konnte er die sozialdemokratischen und kurdischen Stimmen auf sich vereinen und wurde mit jeder zweiten Stimme zum Bürgermeister von Esenyurt gewählt.
Am Mittwochmorgen stürmten Anti-Terror-Teams Özers Tür und betraten sein Haus. Der schlafende Bürgermeister fand die Polizei in seinem Schlafzimmer vor. Er wurde in aller Eile abgeführt und verhaftet. Ein Treuhänder aus der Partei wurde umgehend an seine Stelle gesetzt. Damit wurde die in den kurdischen Gebieten seit Jahren praktizierte Praxis auf die wichtigste Oppositionspartei ausgedehnt. Allen, die davon erfuhren, war klar, dass es sich hierbei um eine Botschaft der Einschüchterung und ein „Bald bist du dran“ an İmamoğlu handelt. Özer wird wegen einiger Telefongespräche, die er vor Jahren geführt hat, als die Friedensgespräche mit den Kurden noch im Gange waren, beschuldigt, „mit dem Terrorismus in Verbindung zu stehen“. Auf diese Weise versucht die Staatsanwaltschaft (also der Palast), die CHP, die aus den letzten Kommunalwahlen als Sieger hervorgegangen ist, mit Terrorismus in Verbindung zu bringen. Sowohl die CHP als auch İmamoğlu reagierten mit scharfen Worten. Die Öffentlichkeit reagierte mit einer großen Kundgebung.
Die türkische Opposition scheint mit ihrem "Normalisierungs"-Ansatz gegenüber dem Präsidialpalast, den sie nach ihrem Wahlsieg in dem Glauben angestoßen hat, dass Polarisierung Erdoğan zugutekommt, auf erhebliche Schwierigkeiten zu stoßen. Nun steht sie vor der schwierigen Aufgabe, einen harten Kampf zu führen, um zu verhindern, dass İmamoğlu inhaftiert wird.
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