Doch für Erdoğans Gegner wäre es voreilig, sich zu freuen, denn wer ihn in seinen 22 Jahren an der Macht näher kennengelernt hat, weiß, dass er nicht so einfach aufgeben wird. Um die Macht, die er aufgebaut hat zu erhalten, wird er alles unternehmen, von der Änderung der Verfassung bis zur Kontrolle des Palastes von außen. Die Rede, in der er das Stichwort „Finale“ fiel, hielt Erdoğan bei einer Veranstaltung der Stiftung TÜGVA seines Sohnes Bilal Erdoğan. Damit kam auch die erwartete Diskussion nach einer Erdoğan Nachfolge auf die Tagesordnung.
Das Epizentrum der Kommunalwahlen bildet Istanbul. Erdoğan verlor die Stadt, in der seine politische Karriere begann, bei der letzten Wahl an Ekrem İmamoğlu. Das Ergebnis hat er kürzlich mit den Worten kommentiert: „Damals gab es einen Fehler“. Am 31. März wird er versuchen, diesen „Fehler“ wiedergutzumachen. Sollte er Istanbul zurückerobern, so dürfte er siegestrunken und stolz darauf sein, die letzte Hochburg der Opposition gestürzt zu haben. Das könnte zu einer Verschärfung der Ein-Mann-Herrschaft und des repressiven Regimes führen. Verliert er Istanbul, so hätte er damit die Kandidatur von İmamoğlu, dem populärsten Namen der Opposition, für die Präsidentschaftswahlen bestätigt.
Drei Wochen vor der Wahl sehen die meisten Meinungsumfragen Imamoğlu vorne. Der Abstand ist allerdings nicht besonders stark. Murat Kurum, der Kandidat der Regierungspartei, genießt keine Popularität, so dass jeder damit rechnet, dass Erdoğan im letzten Moment das Feld räumt. Eine emotionsgeladene Kampagne unter dem Motto „Meine letzte Wahl“ könnte sich auf das Ergebnis auswirken. Zudem stellen die kurdischen Kräfte, die bei der letzten Wahl einen großen Beitrag zum Sieg von İmamoğlus geleistet haben, diesmal einen eigenen Kandidaten auf, woraus sich ein ernsthaftes Risiko für die Opposition ableitet.
Kurzum, Istanbul, das 1994 mit Erdoğans Präsidentschaft die Tür zu einer neuen Ära in der türkischen Politik öffnete, hat 30 Jahre später das gleiche Potenzial. „Erdoğans letztes Duell“ findet am Bosporus statt.
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