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Der Punkt ist: In der Türkei fassen Politiker, vor allem solche auf der Ebene eines Ministerpräsidenten oder Staatspräsidenten, ihre Koffer niemals selbst an. Um sie herum steht ein Heer von Mitarbeitern, die dafür zuständig sind, ihre Taschen, Regenschirme, ja sogar ihre Kleidung zu tragen. Es soll sogar vorgekommen sein, dass in einer Moschee ein Angestellter die Schuhe des Präsidenten trug. Wer in einem armen Land fragt, ob all dieser Aufwand, die Kolonnen von Dienstwagen und das Gefolge wirklich nötig sind, bekommt von Erdoğan stets dieselbe Antwort: „Am Ansehen wird nicht gespart.“ Gerade deshalb sorgte das Bild von Merz für so viel Diskussion. Warum also spart Deutschland am Ansehen? Die Reise machte einmal mehr deutlich, wie groß der Unterschied in der politischen Kultur zwischen der Türkei und Deutschland, ja, zwischen Ost und West geblieben ist.
Was den Inhalt des Besuchs betrifft, so gerieten die eigentlich wichtigen Themen in den Schatten der „Koffer“-Debatte. Wie zu erwarten, standen der Druck auf Opposition und Medien, die autoritären Tendenzen des Regimes und die faktische Abschaffung des Rechtsstaats nicht auf der Agenda. Die führende Oppositionspartei, die in allen Umfragen vorn liegt, zu treffen, stand nicht einmal zur Debatte. Dass ein Präsidentschaftskandidat und Bürgermeister von Istanbul im Gefängnis sitzt, erwähnte der Bundeskanzler nur beiläufig – auf Nachfrage eines Journalisten während der Pressekonferenz. Merz begnügte sich damit, an die Kopenhagener Kriterien zu erinnern und zu betonen, dass die Türkei Entscheidungen treffe, die mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unvereinbar seien, und dass es bei der Unabhängigkeit der Justiz Punkte gebe, die nicht den eigenen Erwartungen entsprächen. Erdoğan antwortete auf diese milde Kritik mit seiner inzwischen ritualisierten Formel: „Wir haben auch unsere eigenen Ankara-Kriterien.“ Was das heißt? Demokratie und Rechtsstaat gehen uns nichts mehr an, wir gehen unseren eigenen Weg.
Europa insgesamt, und besonders Deutschland, betrachtet die Türkei als Grenzposten gegen Geflüchtete und als lukrativen Markt für Rüstungsexporte. Man lobt Erdoğan und kehrt denen den Rücken, die in der Türkei für Demokratie kämpfen.
Ich hoffe, wenn sie es eines Tages bereuen, wird es nicht schon zu spät sein.
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