Erdoğan beschrieb seine Idealvorstellung einer jungen Generation wie folgt: „Eine Jugend, die für ihre Religion, ihre Sprache, ihren Verstand, ihr Wissen, ihre Ehre, ihr Zuhause, ihren Zorn und ihr Herz einsteht.“
In der vergangenen Woche, 13 Jahre später, hat das Meinungsforschungsinstitut KONDA die Ergebnisse ihrer Studie zu türkischen „Lebensstilen“ veröffentlicht. Demnach bezeichneten sich im Jahr 2008 – also noch vor Erdoğans Rede – 55 Prozent der Befragten als „religiös“. 2019 waren es 51 Prozent, heute nur noch 46. Gleichzeitig stieg der Anteil derjenigen, die sich selbst als „ungläubig“ definieren, von 2 Prozent im Jahr 2008 auf 8 Prozent.
Das Ergebnis muss Erdoğan tief getroffen haben. Denn die Zahlen zeigen: Die Jugend hat sein Projekt einer „frommen Generation“ abgelehnt. Und das, obwohl seit Jahren das laizistische Bildungssystem zurückgedrängt und religiöse Erziehung massiv gefördert wird. Obwohl die Gesellschaft zunehmend unter einem dogmatischen, religiös motivierten Druck steht. Obwohl der Etat der Religionsbehörde inzwischen viermal so hoch ist wie der für Wissenschaft und Technologie. Und obwohl es in der Türkei immer noch riskant ist zu sagen: „Ich glaube nicht“, während es klare Vorteile bringt, sich in der Moschee sehen zu lassen.
Auch das britische Magazin The Economist schrieb in seiner aktuellen Ausgabe: „Die Generation Z in der Türkei ist weniger religiös, als der starke Mann des Landes erwartet hatte – und sie könnte zu seiner größten Bedrohung werden. Die Jugend hat Erdoğan satt.“ In den vergangenen Monaten haben vor allem an den Universitäten aufflammende Proteste gegen die Regierung diese Einschätzung bestätigt.
In der Türkei steht der Laizismus – wie auch die Demokratie – vor der vielleicht härtesten Bewährungsprobe seiner Geschichte. Angeschlagen, ja, aber noch standhaft. Und je stärker der religiöse Druck wird, desto mehr zeigt sich, wie unverzichtbar und lebenswichtig er ist.
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