Zunächst zur Opposition: Nachdem die wichtigste Oppositionspartei CHP in der Zeit zwischen den Parlamentswahlen und den Kommunalwahlen ihren Vorsitzenden auswechselte, hat sie unter der Führung von Özgür Özel einen umfassenden Reformprozess in Gang gesetzt. Das Verwaltungspersonal wurde ausgetauscht, unter anderem sind die dem früheren Vorsitzenden nahestehenden Mitarbeitenden durch dem neuen Vorsitzenden nahestehende Personen abgelöst worden.
Am vergangenen Wochenende wechselte auch die IYI-Partei, die Mitte-Rechts-Vertreterin der Opposition, ihren Vorsitzenden. Meral Akşener, die sich in den Wahlen geschlagen geben musste, übergab ihren Platz an Müsavat Dervişoğlu. In seiner Antrittsrede erklärte Dervişoğlu, dass „nichts mehr so sein wird wie früher“.
In kurzer Zeit können sich die Dinge nur schwer ändern, doch die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass nicht alles beim Alten bleiben wird. Auch die Regierungskoalition zeigt erste Zeichen der Trennung. Die Tatsache, dass sich ein Teil der AKP-Wählerschaft nicht an den Wahlen beteiligt hat, während andere für die Opposition gestimmt haben, führte zu unterschiedlichen Reaktionen. Diejenigen, die Erdoğan nicht direkt die Schuld für den Wählerschwund zuschieben wollten, nahmen verschiedene Gruppen innerhalb der Partei ins Visier. Für die einen hatte die Wählerschaft die Nase voll von der außer Kontrolle geratenen Armee aggressiver Trolle, für die anderen waren es Erdoğans Berater, die ihn in seinem Palast zurückhalten, für wieder andere die „Oligarchen des Palastes“, die an nichts anderes als an ihren Profit dachten, und die Kader der Parteiführung, die in Luxus lebten.
Verstärkt wird dieser innere Konflikt durch die Kritik des Vorsitzenden der rechtsextremen MHP, der die Regierung von außen unterstützt. Die jüngste Zielscheibe von Devlet Bahçeli war der Minister für Schatzwesen und Finanzen. Bahçeli warf Mehmet Şimşek vor, eine „düstere Mentalität“ zu haben, nachdem er nicht vom „türkischen Volk“ sondern von „Einheimischen“ gesprochen hatte. Dem Empfang am 23. April, dem Jahrestag der Gründung des Parlaments, blieb Bahçeli fern und überraschte alle mit einem Video, das ihn allein auf einem Joggingpfad zeigt, während er ein Lied hört. In dem Lied sang der arabeske Sänger Ferdi Tayfur: „Ich bin dein Freund geworden, du bist mein Feind geworden“. Tagelang rätselte die Türkei über den Adressaten des Liedes.
Sollten sich die Turbulenzen in der Regierung und der Aufschwung in der Opposition in der kommenden Zeit anhalten, so dürfte die Türkei vor neuen Überraschungen stehen.
|