Den Anfang machte der Post einer Instagram-Nutzerin: Darin wurde ein Visagist beschuldigt, Frauen Fotos seines Geschlechtsteils geschickt zu haben. Kurz darauf wurden Chatnachrichten eines Fotografen publik, in denen er mit einem minderjährigen Mädchen schrieb. Dann tauchten weitere Belästigungsvorwürfe gegen zahlreiche Männer aus der Magazin- und Fotoszene auf.
Frauen begannen, sich gegenseitig zu ermutigen, über ihre Erfahrungen zu sprechen, Namen zu nennen und Rechenschaft einzufordern. Aus der Kampagne erwuchs rasch ein Solidaritätsnetzwerk. Unter dem Motto „Susma Bitsin“ („Schluss mit dem Schweigen“) wurde eine unmissverständliche Botschaft formuliert:
„Wir erinnern die Männer daran, die mit ihrem Geld, ihren Netzwerken und ihrem Schutz vor Strafe jahrelang viele Frauen missbraucht haben: Wir kennen auch die Namen derer, die glauben, niemals enttarnt zu werden.“
Innerhalb einer Woche wuchs die Kampagne lawinenartig an. Einige Beschuldigten schwiegen, andere sahen sich zu einer Stellungnahme gedrängt. Einige räumten die Vorwürfe ein, baten um Entschuldigung und erklärten: „Ich bereue zutiefst, ich nehme psychologische Hilfe in Anspruch.“ Andere wiesen alles zurück, sprachen von „Verleumdung, nicht Geständnis“. Wieder andere bezeichneten die Kampagne als „offenkundigen Lynchversuch“.
Doch die weltweite Sensibilität für das Thema ließ vor allem die Filmbranche nicht unberührt. Erste Sanktionen folgten rasch. Ein Fotograf verlor seinen Job, ein Satireautor wurde aus seiner Zeitung entlassen. Die Filme eines Regisseurs verschwanden aus dem Programm einer Plattform, eine Produktionsfirma beendete die Zusammenarbeit mit einem wegen Belästigung beschuldigten Komiker.
Wie bei jeder verspäteten Abrechnung kommt es auch hier vor, dass unbegründete Anschuldigungen Unschuldige mitreißen. Doch zugleich ist unverkennbar: In vielen Branchen geraten die Mauern der männerdominierten Welt ins Wanken – und für die Täter beginnen die Alarmglocken zu schrillen.
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