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Der erste Skandal spielte sich in der Kantine des Parlaments ab. In dem Gebäude, das als Heiligtum der Nation gilt, kam es zur sexuellen Belästigung von minderjährigen Schülerinnen, die dort ein Praktikum absolvierten, durch Kantinenmitarbeiter. Eine Schülerin wurde schwanger. Als eine der Betroffenen den Vorfall der zuständigen Leitung meldete, erhielt sie die Antwort, sie solle niemandem davon erzählen. Erst nachdem Frauenverbände öffentlich protestierten, sah sich die Parlamentsverwaltung gezwungen, eine Untersuchung einzuleiten.
Ein weiterer Skandal betraf die bekannte Sängerin Güllü. Sie war im September aus dem Fenster ihrer Wohnung im sechsten Stock gestürzt und ums Leben gekommen. Der Tod galt von Anfang an als verdächtig. Nach langwierigen technischen Untersuchungen nahm die Staatsanwaltschaft in der vergangenen Woche zwei Personen fest, von denen es hieß, sie wollten ins Ausland fliehen. Eine von ihnen war die Tochter der Sängerin. Schließlich führte das Geständnis einer Person, die sich zum Zeitpunkt des Geschehens in der Wohnung befand, dazu, dass die Tochter wegen des Vorwurfs festgenommen wurde, ihre Mutter getötet zu haben.
Ebenfalls in der vergangenen Woche wurde Mehmet Akif Ersoy festgenommen, der Chefredakteur des Fernsehsenders Habertürk TV, eines der reichweitenstarken Kanäle des Landes. Ersoy, bekannt als Sohn einer islamisch geprägten, konservativen Familie und als regierungsnaher Medienvertreter, wurde zunächst des Drogenkonsums beschuldigt. In dem Antrag auf Untersuchungshaft ging die Staatsanwaltschaft jedoch weiter. Ersoy soll Frauen, die er in seine Wohnung brachte, dazu gezwungen haben, sexuelle Beziehungen mit Personen aus seinem Umfeld einzugehen und daraus finanzielle Vorteile gezogen haben. Während Ersoy die Vorwürfe zurückwies, traten Frauen an die Öffentlichkeit, die von Missbrauch berichteten und detaillierte Schilderungen veröffentlichten.
Diese Skandale folgten auf eine Enthüllung aus dem vergangenen Monat. Damals wurde bekannt, dass 152 von insgesamt 571 Fußballschiedsrichtern in der Türkei an illegalen Wettgeschäften beteiligt waren. Es war der größte Skandal in der Geschichte des türkischen Fußballs.
Prostitution, Vergewaltigung, Drogen, Glücksspiel, Wettspiele. Das sind Themen, die in den täglichen Nachrichten fast zur Routine geworden sind. Der Meinungsforscher Mehmet Ali Pulat schrieb vergangene Woche, dass selbst in den konservativsten Regionen Anatoliens seine Untersuchungen moralischen Verfall und zunehmende Abhängigkeit von Drogen zeigen. Die Gesellschaft, so Pulat, zerfalle Faden um Faden. Die Ursachen lägen teils im wirtschaftlichen Niedergang, teils in der Trunkenheit der Macht. Hinzu kämen eine Politik der Ungerechtigkeit und Straflosigkeit, die Täter faktisch belohne, sowie die Korruption einer politischen Elite, von der Vorbildwirkung zu erwarten wäre. Das Ergebnis sei eine umfassende gesellschaftliche Verrottung, von den untersten Schichten der Gesellschaft bis hinauf zu ihrer Spitze.
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