Der Besuch von Devlet Bahçeli, dem Vorsitzenden des Regierungspartners MHP, bei der Spezialeinheit der Polizei in der vergangenen Woche ließ das Bild eines „Parteienstaates“ aufkommen. Die Spezialeinheiten sind eine der am stärksten parteiorientierten Einheiten der Polizei. Seit Jahren teilen die Soldaten ihre nationalistische Identität, Fotos von sich mit hängenden Schnurrbärten und Bozkurt-Zeichen auf YouTube, ohne ihre Identität zu verbergen. Dieses Mal zeigten sie dies auf höchster Ebene. Der Leiter der Spezialeinheit begrüßte den MHP-Führer mit einem Handkuss. Auch die anderen Kommandeure der Einheiten standen Schlange, um Bahceli die Hand zu küssen. Tolga Şardan, ein langjähriger Polizeireporter, der die Lage der Polizei seit Jahren beobachtet, resümierte den Eindruck, den diese Szene hinterließ mit den Worten: „Die Polizei steht fast vollständig unter der Kontrolle der MHP.“ Der CHP-Vorsitzende Özgür Özel verurteilte das Video und erklärte: „Wir können niemals akzeptieren, dass eine Person, die vom Staat bezahlt wird und der Allgemeinheit dienen soll, mit ihrer Uniform Hände küsst."
Auch in der Verwaltung, der Justiz und dem Militär hat die Parteinähe ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht. Vor einiger Zeit wurde der AKP-Provinzpräsident von Tunceli mit einer militärischen Zeremonie empfangen. Letzte Woche ist ein ehemaliger AKP-Bürgermeister - trotz Parteimitgliedschaft - zum Gouverneur von Diyarbakır ernannt worden. Anschließend ernannte Erdoğan Metin Kıratlı, den Leiter der Verwaltung des Palastes, zum Mitglied des Verfassungsgerichts. All das nur innerhalb einer Woche.
Selbstverständlich vergleiche ich das nationalsozialistische Deutschland nicht mit der Türkei. Dass Erdoğan, der behauptet, Deutschland werde „immer noch vom Nationalsozialismus regiert“, auf gefährliche Weise das Modell des „Parteienstaats“ der Nazis nachahmt, dürfte keine völlig abwegige Bemerkung sein.
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