Bereits im Februar hatte der inhaftierte PKK-Gründer Abdullah Öcalan aus dem Gefängnis auf der Insel İmralı eine Botschaft übermittelt, in der er seine Organisation aufforderte, die Waffen niederzulegen und sich möglichst bald aufzulösen. Seit Längerem war bekannt, dass es darüber Gespräche zwischen dem türkischen Geheimdienst und Öcalan gab. Auch eine Delegation der pro-kurdischen DEM-Partei, die die Interessen der Kurden im Parlament vertritt, vermittelte zwischen İmralı und Ankara.
Den entscheidenden Impuls für ein mögliches Ende des seit einem halben Jahrhundert andauernden Konflikts, der rund 40.000 Menschen das Leben gekostet hat, setzte im Oktober ausgerechnet der nationalistische MHP-Chef Devlet Bahçeli. Er forderte: „Öcalan soll ins Parlament kommen und die Auflösung der Organisation verkünden.“ Zwar kam Öcalan, der seit 25 Jahren unter strengen Isolationsbedingungen inhaftiert ist, nicht persönlich ins Parlament – doch er ließ über ein Vermittlerteam eine Botschaft übermitteln. Dass die PKK nun ihren Kongress einberief, galt als nächster logischer Schritt. Jetzt wird erwartet, dass die Organisation ihre Auflösung offiziell erklärt – und klärt, wann, wo, wie und an wen die Waffen übergeben werden sollen.
Die nächsten Etappen dürften noch weitreichender sein: Während Ankara betont, es habe keine Verhandlungen gegeben und die Entscheidung zur Selbstauflösung sei einseitig gefallen, macht die kurdische Seite keinen Hehl daraus, dass sie im Gegenzug für die Waffenabgabe bestimmte demokratische Schritte erwartet – darunter eine Generalamnestie, die Verankerung gleichberechtigter Staatsbürgerschaft in der Verfassung sowie mehr Autonomie für die lokalen Verwaltungen.
Doch kann Präsident Erdoğan, der gerade erst seinen stärksten politischen Rivalen ins Gefängnis bringen ließ und den Druck auf die Opposition im ganzen Land erhöht hat, sich überhaupt auf einen solchen Dialog mit den Kurden einlassen? Und ist ein Friedensprozess ohne demokratische Zugeständnisse überhaupt denkbar? Manche politische Beobachtende meinen: Ja – nicht nur denkbar, sondern dringend notwendig.
Es ist kein Geheimnis, dass Erdoğan beim Thema Kurdenfrieden vor allem durch die Entwicklungen in Syrien zum Handeln gedrängt wird. Die USA wollen sich zwar aus der Region zurückziehen, zugleich aber sicherstellen, dass ihre kurdischen Verbündeten nicht schutzlos zurückbleiben. Einer der zentralen außenpolitischen Beweggründe für Ankaras Vorstoß liegt genau darin.
Innenpolitisch hingegen verfolgt Erdoğan ein anderes Ziel: Angesichts schwindender Unterstützung im eigenen Land setzt er darauf, durch ein Friedensabkommen die Kurden wieder stärker hinter sich zu versammeln. Gelingt ihm das, könnte er mit ihrer Hilfe gestärkt in die nächste Präsidentschaftswahl gehen – und sich so eine weitere Amtszeit sichern
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