Genau in acht Wochen finden in der Türkei Wahlen statt. Monatelange Spekulationen wie „Erdoğan wird nicht kandidieren“ und „Es wird keine Wahlen geben“, haben sich als falsch erwiesen. Es gibt allerdings weitere Stimmen: „Er wird alles tun, um seine Macht vor der Wahl zu schützen“ und "Er wird nicht gehen, selbst wenn er die Wahl verliert".
Lassen Sie mich zunächst einmal festhalten, warum die ersten beiden Thesen sich als falsch erwiesen haben: Hätte Erdoğan einen Nachfolger nominiert, als ihm klar wurde, dass er verlieren könnte, hätte das den Rückzug des Befehlshabers an der Front noch vor der Schlacht bedeutet. Außerdem zeigen die Meinungsumfragen, dass der Stimmenanteil von Erdoğan weit vor dem seiner Partei liegt. Daher gab es keinen Ausweg.
Der Präsident spielte mit dem Gedanken, die Wahl um ein Jahr zu verschieben und das Erdbeben als Vorwand zu nutzen. Aber er selbst hat erkannt, dass es in einem Jahr noch schlechter kommen würde. Das Erdbeben hatte seine eigenen Wählerinnen und Wähler am stärksten getroffen. Die Opposition war auf dem Vormarsch. Erdoğan hat darauf vertraut, dass er den Versprechungen eines Wiederaufbaus und der Botschaft „Nur ich kann diese Trümmer beseitigen“ die Mehrheit überzeugen wird. Vieles deutet darauf hin, dass er alles tun wird, um seine Macht zu erhalten: Der Oberste Wahlrat, der als Schiedsrichter der Wahl gilt, steht unter seiner Kontrolle. Es gibt viele Unwägbarkeiten, von der Frage, wie die Stimmen im Erdbebengebiet ausgezählt werden, bis hin zur Möglichkeit des Verbots der HDP, das Züglein an der Waage.
Als die AKP die Wahlen im Jahr 2015 verlor, verwandelte der Terror die Türkei in ein Blutbad. Daraufhin forderte Erdoğan: „Gebt mir die Macht zurück, damit es aufhört" und gewann fünf Monate später die Wahlen. Die Möglichkeit einer Wiederholung desselben Szenarios schreckt viele ab. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass diejenigen, die in diese Falle vor acht Jahren getappt sind, jetzt erfahren genug sind, um nicht erneut in die Falle zu tappen. Noch wichtiger ist, dass es dieses Mal nicht die unorganisierte Opposition von 2015 gibt: Im Gegenteil, ein breites Spektrum von Menschen, die nach Gerechtigkeit und Demokratie streben, darunter Mitte-Rechts, Sozialdemokraten, Nationalisten, Revolutionäre, Türken, Kurden, gemäßigte Islamisten und LGBT-Anhänger, haben sich zusammengeschlossen. Sie nennen sich die „Erdoğan muss weg“-Allianz. Alle Bündnispartner unterstützen die Kandidatur von Kemal Kılıçdaroğlu.
Der letzte Countdown hat begonnen. Sollte die These „Kein Autokrat durch Wahlen geht“ nicht bewahrheiten, wird die Türkei der Welt ein sehr wichtiges Beispiel setzen.
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