Liebe Leserin, lieber Leser,
in der vergangenen Woche gingen zwei Fotos durch die Presse, die einmal mehr zeigen, wie sehr sich die Türkei in einen „Mafia-Staat“ entwickelt hat: Eines der Bilder stammte von einer prunkvollen Beschneidungsfeier in Ankara und ein weiteres zeigt einen brutalen Polizeieinsatz.
Beste Grüße
Ihr Can Dündar
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Gastgeber der Beschneidungsfeier war Ayhan Bora Kaplan, ein „Mafiaboss“ der neuen Generation. Kaplan galt als der „Miliz- und Geheimtresor“ des ehemaligen Innenministers Süleyman Soylu. In der Nacht des Putsches vom 15. Juli soll Soylu Kaplan angerufen und ihn gebeten haben, mit seinem bewaffneten Gefolge zum öffentlich-rechtlichen Sender TRT zu kommen. Das Gespräch des Ministers mit Kaplan wurde abgehört, da dieser wegen angeblichen Waffenschmuggels bereits unter polizeilicher Beobachtung stand. Als Kaplans Truppe in dieser Nacht aufgrund Waffenbesitzes gefasst wurde, ließ man sie kurz darauf auf Anweisung des Ministers wieder frei. Kaplan kontrolliert inzwischen die lukrativsten Lokale des Nachtlebens in Ankara. Für ihn und seine Truppen galt lange Zeit Immunität.
Wie sonst lässt sich der Niedergang der türkischen Demokratie erklären, als durch die zunehmende Zusammenarbeit von „Politik-Mafia-Polizei-Justiz“?
Nach den Wahlen hat man Süleyman Soylu, der dieses Netz von kriminellen Beziehungen unterhielt, entlassen und durch neues Personal ersetzt. Unter dem neuen Minister wurden erst Soylus Kontakte in die Polizei gekappt. Nun standen seine Verbindungen in die Unterwelt auf der neuen Tagesordnung. Als die „Patriarchen“ merkten, dass ein Eingriff unmittelbar bevorstand, demonstrierten sie bei der erwähnten Beschneidungsfeier ihre Macht. Es schien, als ob sie die neuen Chefs der Sicherheitsbehörden mit der Botschaft „Wir halten zusammen“ herausforderten.
Eine Woche nach der Feier kam es zu dem erwarteten Einsatz. Kaplan wurde am Eingang des Flughafens verhaftet, als er mit vier anderen Männern, einer großen Menge Geld und Waffen das Land verlassen wollte. Die Polizeiaktion war ebenso spektakulär wie die Beschneidungsfeier: Die Polizeikräfte überwältigten Kaplan auf aggressive Weise. Ein Video des Vorgangs gelangte sofort an die Öffentlichkeit. Die neue Führung der Polizei sandte eine Botschaft an die Alte und die Botschaft kam tatsächlich an. In einem Tweet bezeichnete der entmachtete Minister Soylu die Operation als „Racheprozess“. Handelt es sich um eine Aufräumaktion? Leider nicht: Man sucht offensichtlich nach einem Sündenbock, den man für die Verbrechen der Vergangenheit verantwortlich machen kann. Auf der anderen Seite wechseln die Unterwelt, der Drogenhandel, Geld, Waffen und Macht den Besitzer und die Öffentlichkeit sieht mit Entsetzen zu, wie die kriminellen Banden des Staates ihre Rechnungen begleichen.
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Dieser Polizeieinsatz hat einmal mehr gezeigt, wie wichtig türkische Exilmedien sind. Abgesehen von einigen wenigen Investigativen Journalisten erfuhr die Öffentlichkeit von den Geschehnissen vor und hinter den Kulissen hauptsächlich durch zwei Journalisten, die von Deutschland aus auf YouTube senden, Erk Acarer und Cevheri Güven von #ÖZGÜRÜZ. Diese beiden Journalisten, die wegen ihrer Berichterstattung zur Zielscheibe wurden, entschlüsselten den Skandal und das dahinter stehende Beziehungsgeflecht, Name für Name, Ereignis für Ereignis. Ihre Erkenntnisse von heute werden für die Anklagen von morgen wichtige Beweise liefern.
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