➢ Im Palast hatte man sich wohl einen Rundumschlag erhofft: Erdoğans stärkster Gegner sollte aus dem Weg geräumt, die Kontrolle über die einflussreiche Stadt und ihre gigantischen Geldflüsse übernommen und der CHP ein harter Schlag versetzt werden. Doch am Ende ging keiner dieser Pläne auf
➢ Ja, İmamoğlu kam ins Gefängnis – doch dort wurde er nur noch beliebter. Dass er ohne stichhaltige Anklage verurteilt wurde, hat selbst in den Reihen der AKP das Gerechtigkeitsempfinden vieler verletzt.
➢ Der geplante Versuch, die Kontrolle über die Istanbuler Stadtverwaltung zu übernehmen, scheiterte schon in der ersten Nacht: Der CHP-Vorsitzende zog direkt ins Rathaus ein und rief die Menschen dazu auf, sich dort zu versammeln. Und sie kamen – Hunderttausende, von Tag zu Tag mehr. Vor allem junge Leute zeigten mit ihrer entschlossenen Präsenz, dass sie den Istanbul-Putsch nicht zulassen würden.
➢ Der eigentliche Schlag traf jedoch die Wirtschaft. Ausländische Investoren zeigten sich verunsichert. Um Turbulenzen an den Märkten zu verhindern, griff die Regierung so massiv in den Devisenmarkt ein wie nie zuvor in der Geschichte des Landes. Die Zentralbank verkaufte Reserven im Wert von 50 Milliarden Dollar. Damit wurden all die Schritte, die in den vergangenen Monaten zur Stabilisierung der Wirtschaft unternommen worden waren, wieder zunichtegemacht.
➢ Die Verhaftung İmamoğlus sorgte sogar in europäischen Hauptstädten für Unmut – obwohl man dort zuletzt bemüht war, Erdoğan nicht zu verärgern. So berichtete vergangene Woche der Handelsblatt, dass die deutsche Regierung wegen der Inhaftierung den geplanten Verkauf von Eurofighter-Kampfjets an die Türkei blockiert habe.
➢ Die eigentliche Überraschung aber kam aus der CHP – jener Partei, von der man erwartet hatte, dass sie sich in internen Streitigkeiten verliert. Doch stattdessen stand die größte Oppositionskraft, die die letzten Kommunalwahlen gewonnen hatte, so geschlossen da wie noch nie. Mit Boykottaufrufen, Aktionen des zivilen Ungehorsams und einer Welle von Kundgebungen organisierte sie den Protest – und leitete damit faktisch schon den Wahlkampf ein.
➢ Jetzt steht Erdoğan vor einer schwierigen Wahl: Entweder er hält an seinem Kurs fest und steuert noch schneller auf den Abgrund zu – oder er lenkt ein und sucht einen Weg der Verständigung. Wie sich die kommenden Monate in der Türkei entwickeln, hängt nun vor allem von dieser Entscheidung ab – und davon, ob die Opposition ihren Widerstand aufrechterhalten kann.
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