Die Regierungspartei musste nicht nur in den Großstädten, in denen der Großteil der Bevölkerung lebt, schwere Verluste hinnehmen, sondern auch in den Hochburgen, die die AKP seit Jahrzehnten regierte.
Die Sozialdemokraten wiederum, die jahrzehntelang bei 25 Prozent der Stimmen verharrt hatten, traten zum ersten Mal seit 46 Jahren als stärkste Partei hervor.
Die Kulisse, die man in der Türkei in jeder Wahlnacht zu sehen gewohnt ist, veränderte sich dieses Mal: Vor dem Gebäude der größten Oppositionspartei tanzte eine begeisterte Menschenmenge, während die Regierungspartei in düsterem Schweigen verharrte. Erdoğans AKP, die noch vor zehn Monaten mit 52 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt worden war, schrumpfte auf 35,5 Prozent.
Für diesen tragischen Niedergang gibt es zahlreiche Gründe:
Erstens trat nicht Erdoğan bei den Kommunalwahlen an, sondern seine Kandidaten. Die lokalen Bürgermeisterkandidaten verfügen nicht über sein politisches Gewicht. Dagegen traten die Sozialdemokraten mit zwei bewährten Kandidaten in Ankara und Istanbul an. Beide hatten zuvor die AKP erfolgreich geschlagen. Zudem hatten die Sozialdemokraten in den vergangenen zehn Monaten ihren Vorsitzenden ausgewechselt und Kemal Kılıçdaroğlu, der wiederholt Wahlen gegen Erdoğan verloren hatte, durch einen neuen, jungen Kandidaten ersetzt.
Bei seiner ersten Wahl gelang es Özgür Özel, den Stimmenanteil seiner Partei auf 38 Prozent zu heben.
Der zweite entscheidende Faktor ist der Unmut der konservativen Wahlberechtigten. Die AKP-Basis, die einen kompletten wirtschaftlichen Zusammenbruch erlebt, verlor mit der Leerung der Staatskasse die wirtschaftliche Unterstützung, die sie jahrelang erhalten hatte. Erdoğan versäumte es, die erwartete Rentenerhöhung durchzusetzen. Auf der anderen Seite hat die AKP-Elite keine Kompromisse bei ihrem luxuriösen Leben gemacht. Erdoğans Erpressungsversuch „Wenn ihr nicht wählt, werdet ihr keine Leistungen erhalten“ ging nach hinten los. Die wählende Bevölkerung reagierte, indem sie nicht zur Wahl ging oder Kandidaten der Opposition unterstützte.
Jetzt stellt sich für die Türkei die große Frage, wie es weitergeht. Im Jahr 2028 finden Präsidentschaftswahlen statt. Für den 70-jährigen Erdoğan dürfte es schwierig werden, bis dahin durchzuhalten, zum einen aufgrund seines persönlichen Gesundheitszustands und zum anderen nach seiner Wahlniederlage. Es bleibt abzuwarten, ob er die Fesseln des Regimes anziehen wird, um seine zitternde Macht zu retten, oder ob er sich für eine versöhnlichere Politik entscheiden wird.
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