Die Umstände, Parteien und Zeiträume sind sicherlich verschieden, aber das erinnert mich an das politische Erdbeben, das wir vor 22 Jahren in der Türkei erlebt haben. Wir sind mit dem Zusammenbruch des Status quo in ein neues Jahrhundert gestartet. Die gesellschaftliche Unterstützung und das Vertrauen in die Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Parteien waren vollständig verschwunden. Eine verfehlte Politik hatte zu einer Wirtschaftskrise, Armut und Arbeitslosigkeit geführt und die Menschen brauchten dringend Sicherheit gegen jegliche Art von Bedrohung. In einer solchen Zeit tauchte Erdoğan als Führer einer religiös-nationalistischen Partei auf, die von außerhalb des Systems kam und die etablierte Ordnung in Frage stellte. Er positionierte sich gegen die zentralen Medien, die zentrale Politik und die staatlichen Institutionen. Trotzdem gelang es ihm, die frustrierten Massen für einen Wandel zu gewinnen. Sein Wahlsieg beruhte in erster Linie nicht auf seinem Erfolg, sondern auf dem Versagen seiner Gegner.
Heute hat die Unfähigkeit der westlichen Regierungen, Lösungen für die wachsenden Probleme der Welt, die andauernden Kriege und insbesondere die Migrationskrise anzubieten, dazu geführt, dass die Massen, die über den Zustand der Lage besorgt sind, sich an jene wenden, die radikale Lösungen vorschlagen. Das jahrzehntelange politische Hin und Her zwischen Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Parteien in Frankreich, Deutschland und Italien scheint ein Ende zu haben. Die neuen nationalistischen Akteure der Politik setzen ihr Gewicht auf die Zukunft Europas.
Die Propagandamacht von Plattformen wie Tik-Tok, die neue Generationen beeinflussen, indem sie die klassischen Medien verdrängen, sowie der starke Einfluss von Fake News und Verschwörungstheorien sind spürbar. Die europäische Politik, die es sich seit Jahren in der Mitte bequem gemacht hat, fehlt es an Kraft, mit dieser neuen Entwicklung umzugehen. Die eigentliche Bedrohung beginnt erst, wenn sie beginnt, den aufkommenden Populismus zu imitieren. Wenn sich der Schlag, den Europa gestern erlitten hat, im November mit einem Sieg von Trump in den USA wiederholt, steht uns ab 2025 eine neue Welt bevor.
Stefan Zweig hat in seinem Buch „Die Welt von gestern“ das Europa der Vorkriegszeit beschrieben. Die Welt von heute ähnelt der von ihm beschriebenen Welt von gestern. Hoffen wir, dass Europa mit dieser ernsten Warnung aufwacht und heute damit beginnt, die Welt von morgen zu retten.
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