Nach der Kontrolle betraten wir einen Gerichtssaal mit hohen Decken, hölzernen Konstruktionen und einer Bibliothek an den Wänden, die uns britische Aristokratie spüren ließ. Die weißen Perücken auf den Köpfen der Richter, Staatsanwälte und Anwälte sowie ihre Art zu sprechen verstärkten das Gefühl, dass wir einem historischen Prozess beiwohnten. Lediglich der mit Eisenstangen versehene Käfig in der Ecke des Saals daneben ein Großbildfernseher störte das aristokratische Bild. Vorbereitet für Assange, den berühmten Angeklagten in diesem Prozess, aber er blieb leer. Der Prozess fand in Abwesenheit von Assange statt, der Berichten zufolge als schwer krank gilt.
Am ersten Tag sprach die Verteidigung, am zweiten Tag die Anklage: Erstere erklärte, dass Assange ein mutiger Verleger sei, der Kriegsverbrechen der USA aufdeckte; er habe die Informationen, die zu seiner Verfolgung führten, nicht weitergegeben, sondern veröffentlicht - zusammen mit angesehenen westlichen Zeitungen. Es bestünde ein „öffentliches Interesse" an der Veröffentlichung der Dokumente. Angesichts der Mordpläne der CIA, der Tatsache, dass er in den USA seine verfassungsmäßigen Rechte als Nicht-Bürger nicht ausüben könne, und der Gefahr, dass er zum Tode verurteilt werden könnte, dürfte er nicht ausgeliefert werden.
Nach Auffassung der US-Verteidigung gefährdete Assange mit seiner „unverantwortlichen Veröffentlichung“ nicht nur die Staatssicherheit, sondern auch das Leben von Tausenden von Menschen, die in den Dokumenten namentlich genannt werden. Man solle ihn daher an die USA ausgeliefern und vor Gericht stellen.
Nicht vertreten in dem Prozess waren die gefolterten Gefangenen, die „versehentlich“ getöteten Zivilistinnen und Zivilisten, die massenhaft ermordeten Menschen, die uns erst durch die von Wikileaks und anderen Recherchen westlicher Zeitungen bekannt wurden. Obwohl sie das zentrale Thema des Prozesses bildeten, standen sie nicht auf der Tagesordnung.
Zwei britische Richter sollen nun entscheiden, ob Assange, der seit fünf Jahren ohne Gerichtsverfahren in Isolationshaft gehalten wird, vor seiner Auslieferung ein letztes Mal Berufung einlegen darf. Sollte ihm dieses Recht gewährt werden, bleibt Assange während des Berufungsverfahrens in Isolationshaft. Andernfalls wird er in die USA geschickt und dort in einer Zelle eingesperrt, vielleicht sogar einem Finale à la Nawalny überlassen.
Für Assange bedeutet das im wörtlichen Sinn, dass „er einen Tod sterben wird“. Im Falle einer Auslieferung stünde Assanges Verurteilung in den USA wie eine Art Warnung dar, an Whistleblower und Journalistinnen und Journalisten, die es wagen, die Verbrechen der Geheimdienste öffentlich zu machen und an Medien die es wagen, diese zu veröffentlichen. Die Eisenstäbe des Käfigs im Londoner Gerichtssaal könnten demnach als Symbol für die künftigen Grenzen des Journalismus verstanden werden.
|