Die streunenden Hunde sollen zunächst in Tierheimen aufgefangen werden, um sie dann zunächst zur Adoption anzubieten. Allein diese Bedingung lähmt das Gesetz von vornherein: Denn es gibt nur rund 110 Tausend Tierheime im Lande für 4-6 Millionen Hunde, und die sind in einem erbärmlichen Zustand. Es gibt somit keinerlei Möglichkeit, so viele streunende Tiere aufzunehmen. Die Tierschützer fordern ein Vorgehen nach dem Prinzip „Sterilisieren-Impfen- Vor Ort leben lassen“, aber auch Sterilisation und Impfung erfordern große Investitionen und Vorbereitungen. Infolgedessen führte das über die Jahre angehäufte Problem zu der Forderung nach einer brutalen Lösung. Um das Gesetz verabschieden zu können, ist das Parlament nicht einmal in die Sommerpause gestartet; das Parlament wurde für den Besucherverkehr geschlossen, damit die Tierschützenden nicht protestieren können. Der Brief von Brigitte Bardot an Erdoğan, in dem sie ihn aufforderte, „das Gesetz zurückzuziehen“, und die Warnung von Tierschützern vor einem Tourismusboykott führten zu keinem Erfolg. Das Gesetz wurde unter Ausrufung eines Ausnahmezustands umgehend ins Parlament eingebracht.
Einige Beobachtende vermuten, dass Erdoğan vor allem deshalb auf das Gesetz beharrt, um die Gemeinden der CHP, die bei den letzten Kommunalwahlen den ersten Platz belegte, in eine schwierige Lage zu bringen. Denn sie müssen das Gesetz umsetzen. Sollten sie es nicht umsetzen, drohen ihnen Gefängnisstrafen von bis zu zwei Jahren; sollten sie versuchen, es umzusetzen, machen sie sich mitschuldig an dem Massaker der Regierung. In jedem Fall wird die Opposition verlieren. Hinzu kommt, dass von nun an jede Aggression von streunenden Hunden wieder der Opposition und den Tierfreunden angelastet wird. Natürlich gibt es auch Stimmen, die behaupten, dass es bei dieser Aktion darum geht, die Unternehmen zu bereichern, die die für die Einschläferung der Tiere erforderlichen Medikamente herstellen. Umfragen zeigen jedoch, dass ein großer Teil der Öffentlichkeit, sogar die AKP-Basis, dieses Massaker ablehnt.
Es ist nicht überraschend, dass eine Regierung, die die Wälder, Seen, Meere, Flüsse und Küsten des Landes geplündert hat, nun streunende Tiere ins Visier nimmt, aber es ist doch sehr erschreckend.
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