Die Kommunalwahlen vom 31. März markierten einen schweren Rückschlag für das Regime. Erdoğan erlitt seine erste Niederlage nach 18 Wahlgängen in 22 Jahren; die AKP verlor ihren Thron zum ersten Mal an die Sozialdemokraten. Erdoğan akzeptierte die Niederlage und erklärte: "Wir werden die Gründe für diesen Rückschlag auf den Tisch legen, wir werden mutig Selbstkritik üben" und verabschiedete sich in den Urlaub.
Mit Spannung wird erwartet, mit welchen Entscheidungen Erdoğan aus seinem Urlaub zurückkehren wird.
Aus seinen bisherigen politischen Entscheidungen können wir keine Vorhersage für eine neue treffen. Es ist nicht einfach, seine Reaktion in dieser Situation zu prognostizieren, da er bisher noch nie eine Niederlage an der Wahlurne erlitten hat. Wird sich der „verwundete Löwe“ in seine Ecke zurückziehen und warten, bis seine Wunden geheilt sind? Wird er in seiner Wut noch härter angreifen?
Uns bleibt nur das Beispiel von 2015. Bei den Wahlen im Juni 2015 hat die AKP zwar nicht den ersten Platz verloren, aber fünf Millionen Stimmen eingebüßt und war nicht in der Lage, eine Regierung zu bilden. Zu dieser Zeit, als Erdoğan die Opposition an der Regierungsbildung hinderte, fiel das Land in ein Klima des Terrors, das in der Geschichte beispiellos ist. In fünf Monaten mit Massakern, Sabotageakten und Attentaten kamen 862 Menschen ums Leben. Bei den vorgezogenen Wahlen im November kehrten fünf verängstigte Wähler zu Erdoğans Partei zurück, der versicherte: „Wählt uns, und dieser Albtraum wird ein Ende haben“.
Es ist nicht auszuschließen, dass die gleiche Strategie noch einmal versucht wird, allerdings ist die Lage diesmal wesentlich angespannter: Das Ergebnis der Kommunalwahlen spiegelt zum einen den Erfolg der CHP-Gemeinden, zum anderen aber auch die Enttäuschung der AKP-Wähler. Um hier Abhilfe zu schaffen, muss Erdoğan seine Wählerschaft auffangen. Dafür muss er Geld auftreiben, und um Geld aufzutreiben, muss er den Westen von sich überzeugen. Daher wäre es nicht verwunderlich, wenn er, anstatt Kriegsbemalung aufzutragen, das „liberale Erdoğan“-Make-up erneuert, das früher so beliebt war. Erste Wetten sind bereits platziert . In ein paar Wochen sehen wir das Resultat.
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