Nachdem Istanbuls Bürgermeister Ekrem İmamoğlu und nahezu sein gesamtes Team festgenommen wurden, richtet sich der Blick der Behörden jetzt auf Journalistinnen und Journalisten. Einige bekannte Stimmen werden beschuldigt, regelmäßig Geld von der Stadtverwaltung erhalten zu haben. Die Staatsanwaltschaft verweist auf Aussagen von Kronzeugen und auf Telefonverbindungsdaten. In der Türkei tauchen solche Vorwürfe meist zuerst in regierungsnahen Medien auf – was oft ein sicheres Zeichen dafür ist, dass am nächsten Tag die Polizei vor der Tür steht. So auch diesmal: In der Akşam Gazetesi wurde unter der Schlagzeile „İmamoğlus Medien GmbH“ erstmals Ruşens Name genannt. Zehn bekannte Journalistinnen und Journalisten sollen laut Bericht in ständigem telefonischen Kontakt mit einem städtischen Beamten gestanden haben. Bei Ruşen hieß es, er habe sich elf Mal zur selben Uhrzeit und am selben Ort mit dieser Person getroffen – abends.
Ruşen reagierte umgehend mit einer Livesendung. Er habe den genannten Beamten noch nie gehört, gehe abends nach der Arbeit nach Hause und treffe sich mit niemandem, erklärte er. Aber was ist mit den Telefonverbindungsdaten? Mit dieser Frage im Kopf ging Ruşen letzten Sonntag ins Stadion, zu einem Spiel seines Vereins Galatasaray – und plötzlich dämmerte ihm, was passiert war: Die Polizei hatte keine abgehörten Gespräche, sondern lediglich sogenannte HTS (Historical Traffici Search)-Daten – also Verbindungsnachweise, die zeigen, dass zwei Mobiltelefone zur selben Zeit am selben Ort eingeloggt sind. Bei näherer Recherche stellte sich heraus: Die Person, mit der er angeblich regelmäßig in Kontakt stand, war wie er Galatasaray-Fan – und zur selben Zeit am selben Ort: im Stadion. Offenbar hatte die Polizei Erkenntnisse, dass beide Mobiltelefone bei denselben Spielen im selben Stadion eingeloggt waren – und das als geheime Treffen gewertet. Ruşen trat nach dem Spiel sofort vor die Kamera und erklärte: „Schaut euch einfach den Spielplan an – dann versteht ihr’s.“
Auch die anderen betroffenen Journalistinnen und Journalisten wiesen die Vorwürfe entschieden zurück. Ruşen beendete seine Sendung mit den Worten: „Angeblich steht morgen früh bei Sonnenaufgang eine Operation bevor. Wenn ich verhaftet werde, gehe ich mit Würde ins Gefängnis.“
Ein „ganz gewöhnliches“ Beispiel dafür, wie Journalismus in der Türkei heute überhaupt noch möglich ist…
Ruşen ist noch auf freiem Fuß – doch die Sorge vor einem Klopfen im Morgengrauen ist für viele Journalistinnen und Journalisten längst zu einer realen Bedrohung geworden.
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