Die türkische Öffentlichkeit reagierte auf diese Entscheidung gespalten: Zwischen „Gut so, es war ohnehin ein christlicher Verein“ und „Die Beziehungen der Türkei zu Europa sind wieder einmal gekappt worden“. Am Samstagabend, als Sertap Erener nach 21 Jahren erneut als Gast auf der Eurovisionsbühne stand, flammten diese Debatten wieder auf. Das europäische Abenteuer der Türkei verläuft weiterhin turbulent. Die AKP hat erkannt, dass ihre jüngste Wahlniederlage vor allem wirtschaftlich bedingt war und dass die Wiederherstellung der Beziehungen zum Westen ein mögliches Heilmittel darstellen könnte. Nach dem Besuch des deutschen Bundespräsidenten im vergangenen Monat empfängt Ankara Anfang dieser Woche den griechischen Premierminister.
Zum Europatag am 9. Mai erklärte Erdoğan: „Es wird höchste Zeit, dass Ankara seine Zusammenarbeit mit der EU in allen Bereichen, einschließlich der Beitrittsverhandlungen, verbessert und sie auf eine stabilere Grundlage stellt“.
Wenngleich die Regierung zögert, die für einen solchen Beitritt erforderlichen demokratischen Schritte zu unternehmen, bekundet sie häufig ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit. „Wir sind Teil Europas“, erklärte Özgür Özel, der neue Vorsitzende der CHP, die in den letzten Kommunalwahlen als stärkste Kraft hervorging, letzten Monat vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, „und wir sind bereit, zur EU-Mitgliedschaft der Türkei beizutragen, diplomatische Initiativen zu übernehmen und unsere europäischen Freunde zu überzeugen.“
Trotz dieser Bekundungen macht sich der antiwestliche Widerstand in der Regierung bemerkbar. Die Öffnung der Kariye-Kirche als Moschee für den Gottesdienst am vergangenen Montag (kurz vor dem Besuch des griechischen Premierministers) hat in Griechenland zu Reaktionen geführt. Bei seinem Besuch beim Erzbischof von Lyon formte der türkische Generalkonsul in Lyon mit seinem Finger ein jihadistisches Symbol, und posierte für das Foto einen Schritt vor dem Erzbischof von Lyon, ein weiterer Beleg für die reaktionäre Tendenz in der Diplomatie.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse, die Haltung des Westens sowie die internen Konflikte werden darüber entscheiden, wer dieses Tauziehen, das sich in Politik, Bürokratie, Diplomatie und Gesangswettbewerben bemerkbar macht, gewinnen wird.
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