Das Wahlergebnis ist von großer Bedeutung, sowohl im Hinblick darauf, dass Erdoğan erstmals an der Wahlurne eine Niederlage erlitt, im Gegensatz zu den oppositionellen Sozialdemokraten, die nach fast einem halben Jahrhundert als stärkste Partei hervorgingen. Von ebenso großer Relevanz: Während populistische Führer in vielen Teilen der Welt auf dem Vormarsch sind, hat die Türkei einen Weg in die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen. Das zeigt, dass es möglich ist.
Es bleibt abzuwarten, ob die westliche Welt das türkische Volk in seinem Bestreben unterstützen wird. Die westlichen Demokratien haben es längst zur Gewohnheit gemacht, ihre Prinzipien zu Gunsten ihrer eigenen Interessen aufzugeben und wirtschaftlichen Beziehungen mit Autokraten zu pflegen. Noch vor zehn Monaten, als Erdoğan unter Missachtung der Gesetze und unter Anwendung aller möglichen undemokratischen Methoden zum Präsidenten wiedergewählt wurde, hörte man vom deutschen Bundeskanzler auf Anhieb Gratulationen und eine Einladung nach Berlin. Wir erlebten das Lob der Hamas auf der gemeinsamen Pressekonferenz von Erdoğan, der diese Einladung sofort nutzte und auf dem roten Teppich erschien. Nachdem der türkische Präsident eine Wahlniederlage erlitt und die Sozialdemokraten die Kommunalwahlen gewonnen hatten, war von dem sozialdemokratischen Kanzler keine Glückwunschbotschaft zu hören.
Aus verschiedenen Gründen hat Deutschland von Beginn an gezögert, eine Haltung einzunehmen, die Erdoğan verärgern könnte. Das sorgt für Enttäuschung bei Demokratinnen und Demokraten, die unter härtesten Bedingungen für die Demokratie in der Türkei kämpfen. Vor diesem Hintergrund ist der Besuch des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier am 22. April und die Botschaften, die er in die Türkei mitbringt sehr wichtig. Noch wichtiger ist jedoch, dass die sozialdemokratischen Kommunen, die in vielen Städten Siege errungen haben, und die Zivilgesellschaft, die trotz allen Drucks nicht aufgegeben hat, nicht allein gelassen werden.
Während die westlichen Regierungen weiterhin mit Autokraten für ihre eigenen Interessen zusammenarbeiten, kann ein Solidaritätsnetzwerk der Basis ein Hebel sein, um den Wind des Populismus, der in der ganzen Welt zu spüren ist, zu bremsen. Dass die Menschen in der Türkei mit ihren Stimmen der repressiven Politik der 22-jährigen AKP-Herrschaft ein Ende gesetzt und den Weg für eine Rückkehr zur Demokratie geebnet haben, ist von historischer Bedeutung und ein Beispiel für die ganze Welt.
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