Die sonst mit viel Engagement und zugunsten der Opposition ausgehenden Kommunalwahlen sind dieses Mal von einem wenig spannenden Wahlkampf geprägt. Natürlich spielt dabei die Frustration eine Rolle, dass „egal was passiert, das Ergebnis sich nicht ändern wird“. Ein beträchtlicher Teil der Wählerschaft hat das Vertrauen in Wahlen und in die Möglichkeit, eine Veränderung durch die Wahlurne hervorzurufen, verloren. Sollte diese Frustration und die Uneinigkeit der Opposition zu einem Rückgang der Wahlbeteiligung führen, könnte die regierende AKP gewinnen.
Die Kommunalwahlen werden auch über die politische Zukunft von Ekrem İmamoğlu, dem aufsteigenden Stern der türkischen Politik, entscheiden. Wenn Imamoğlu, der Bürgermeister von Istanbul, die Kommunalwahlen in Istanbul, in der 1994 der politische Aufstieg von Erdoğan begann, trotz des Drucks der Regierung gewinnt, kann er bei den nächsten Wahlen Präsidentschaftskandidat werden. Verliert er, wird seine politische Karriere leiden. Alle Augen sind deshalb auf Istanbul gerichtet.
Imamoğlu scheint laut den veröffentlichten Umfragen in Führung zu liegen. Der Unterschied ist jedoch nicht groß, daher erwarten viele in der letzten Woche einen Schachzug von Erdoğan.
Doch der Präsident zeigt sich bereits im Einsatz. „Wir regieren die Türkei. Die Person, die Istanbul regiert, hat diese Möglichkeit nicht“ und drohte der Bevölkerung mit einem Entzug von Sozialleistungen, sollten sie nicht an die Wahlurne gehen. Ob diese Androhung Erfolg hat oder nach hinten losgeht, werden wir in einer Woche sehen. „Früher waren 1,5 Millionen Menschen auf diesem Platz, heute sind es nur noch 650.000“, erklärte Erdoğan gestern bei seiner Kundgebung in Istanbul, beklagte die schwindenden Menschenmassen und versprach, Ressentiments zu beseitigen.
Es wird immer schwieriger, die zunehmenden Auswirkungen der großen Wirtschaftskrise mit der Prahlereien wie „Wir haben die Hagia Sophia für den Gottesdienst geöffnet", und religiöser Propaganda zu überspielen.
Eine Opposition, die aus den Kommunalwahlen in den Großstädten gestärkt hervorgeht, könnte das konzentrierte Machtmonopol zu einem gewissen Grad eindämmen. Alles andere würde den Untergang der letzten Hochburg der Opposition und die Festigung der Ein-Mann-Herrschaft bedeuten.
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