Zunächst kam Tuncer Bakırhan, Co-Vorsitzender der DEM-Partei, anschließend folgte der Vorsitzende der größten Oppositionspartei CHP, Özgür Özel. Bakırhan traf im Bundestag mit Abgeordneten verschiedener Parteien zusammen und suchte das Gespräch mit türkeistämmigen Menschen in der Diaspora. Wenig später trat Özgür Özel auf dem SPD-Parteitag auf. Begleitet von einer großen Delegation wurde er mit stehenden Ovationen empfangen. In seiner auf Deutsch gehaltenen Rede bezeichnete er die Entwicklungen in der Türkei seit dem 19. März als einen „Putsch“ – es sei, so Özel, „einer der schwersten Angriffe auf die Demokratie in der politischen Geschichte der Türkei“. Und er fügte hinzu: „Aber wir werden niemals aufgeben. Wir werden kämpfen – bis zum Schluss.“
Seine Rede beendete er mit einer Zeile des bekannten deutschen Dichters Bertolt Brecht – einem Vers, der in der Türkei längst zum Slogan geworden ist: „Kurtuluş yok tek başına, ya hep beraber ya hiç birimiz“ – „Es gibt keine Rettung für Einzelne. Entweder gemeinsam – oder keiner von uns.“ Zunächst auf Deutsch, dann auf Türkisch gesprochen, riss diese Zeile das Publikum zu stehenden Ovationen hin. SPD-Delegierte hielten Schilder mit der Aufschrift „Freiheit für İmamoğlu“ in die Höhe und applaudierten Özgür Özel minutenlang.
Özel sprach auf dem SPD-Parteitag am Samstag, dem 28. Juni – und heute, am Montag, dem 30. Juni, steht ihm in der Türkei ein entscheidender Gerichtstermin bevor. Die Justiz, die sich vollständig Erdoğans Macht untergeordnet hat, wird darüber entscheiden, ob der letzte CHP-Parteitag, den Özel gewonnen hatte, unter dem Verdacht der Manipulation steht. Sollte das Gericht zu dem Schluss kommen, es habe „Zweifel an der Rechtmäßigkeit“ gegeben, könnte Özel abgesetzt, ein neuer Vorsitzender bestimmt und der Parteitag wiederholt werden. Nach der Inhaftierung von Erdoğans stärkstem Herausforderer Ekrem İmamoğlu ist der Versuch, nun auch die Führung der stärksten Oppositionspartei auszuwechseln, ein weiterer Beleg dafür, wie stark das Regime in der Türkei den Druck erhöht. Vor diesem Hintergrund hatte das Solidaritätszeichen der deutschen Sozialdemokratie als Regierungspartei in Berlin ein besonderes Gewicht.
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